Editorial
Gerade bin ich dabei ein wenig meine Festplatten aufzuräumen und da fällt mir ein Text in die Hand, den ich vor knapp 5 Jahren für einen Wettbewerb der „ct“ geschrieben hatte. Es ging darum ein Editorial zu verfassen – ich weiss aber leider nicht mehr, ob es eine inhaltliche Vorgabe gab. Hier mein Text, mit dem ich immerhin eine Einladung nach Hannover zur Preisverleihung im GOP gewonnen hatte und dazu eine Nacht in einem 5*-Hotel. Erscheint mir inhaltlich aktueller als noch 2010…
„Der Kunde ist König
Ich wollte mir etwas Gutes gönnen: Ausnahmsweise einmal auswärts essen gehen. Das Restaurant meiner Wahl war schnell gefunden. Kurz vor dem Eintreten noch die Altersfreigabe überprüfen, Body-Mass-Index messen, die AGB lesen, die Widerrufserklärung durchblättern und alles schriftlich bestätigen, dann durfte ich auch schon rein und wurde an meinen Tisch geführt.
Die mediterrane Dekoration des Restaurants mischte sich stilvoll mit Rauchverbots-Schildern und etlichen Hinweisen, dass es nicht gestattet ist, die Speisen ab zu fotografieren, Videos davon zu erstellen oder Abschriften der Speisekarte vorzunehmen. Außerdem wurde darauf hingewiesen, dass ich das Essen nicht in Aserbaidschan, Kurdistan, dem Irak und einigen anderen Ländern, die ich jetzt aber vergessen habe, zu mir nehmen darf und weiterhin ein öffentlicher Verzehr oder die Mitnahme nach Hause nicht erlaubt ist.
Nach einigen Minuten kam auch schon der Kellner und brachte mir einen Haufen Prospekte zum durchstöbern. Kurz gelesen und schriftlich bestätigt durfte ich dann auch bald die Getränkebestellung aufgeben. Selbstverständlich fehlte auch hier nicht der Hinweis, dass ich das Getränk nicht weiterverkaufen dürfte und eine genaue Instruktion wie ich es zu mir nehmen sollte – kurz bestätigt und lecker getrunken.
Leider dauerte es ein wenig länger die Speisekarte zu lesen, da deren Kopierschutz nicht mit meinem Scanner kompatibel war, aber dank des guten Services war auch das kein Problem, ich durfte ausnahmsweise bei meinem Tischnachbar mit reingucken. Es dauerte dann noch etwas länger, bis ich die Nutzungsbedingungen für den Hauptgang unterschreiben konnte, da diese für mich manuell ausgedruckt werden mussten – aber hey, für ein gutes Essen tue ich doch alles. Schließlich ist es in der heimischen Küche recht eintönig geworden, seitdem Essen zu Hause nur noch gegen Lizenzgebühren selber gekocht werden darf. Schließlich müssen die Künstler die all die leckeren Ideen hatten ja auch von etwas leben – und mir jeden Tag was eigenes einfallen lassen ist auf Dauer nicht von Erfolg gekrönt.
Ein paar Werbebroschüren später kam dann das Hauptmenü, aber ich kann mich immer noch nicht daran gewöhnen beim Essen immer per Video aufgenommen zu werden. Aber wie soll man sonst kontrollieren, dass niemand etwas heimlich mit nach Hause nimmt oder es anders zu sich nimmt als vorgeschrieben? Ich habe dafür schon Verständnis, auch wenn es mich immer noch nervös macht.
Ich muss schon sagen, so gut habe ich lange nicht gegessen. Leider konnte ich keinen Nachtisch mehr genießen, da mein Body-Mass-Index das nicht zuließ. Das hätte ich glatt vergessen. Wie gut, dass der Kellner so aufmerksam war.
Ich genoss also noch ein wenig die wunderschöne Atmosphäre, musste dann aber auch bald gehen weil meine Nutzungszeit überschritten war. Für den Weg bekam ich noch eine Anleitung für das weitere Vorgehen nach dem Essen mit auf die Hand und machte mich, wohlgenährt, ein halbes Monatsgehalt ärmer, auf den Weg nach Hause. Es war ein tolles Gefühl einmal wieder wie König-Kunde behandelt zu werden.“